Wir alle haben in uns innere Kinder, die verletzt, verlassen, beschämt oder überfordert wurden – oder eine Kombination davon. Diese Kinder können 2, 7 oder 16 sein, meinetwegen auch 23. Deren Wunden leben oft jahrelang in uns weiter, und wenn wir auf eine Situation stark reagieren, kann es gut sein, dass eins unserer inneren Kinder hinter dieser Reaktion steckt.
Hier sind ein paar Beispiele:
1. Ein 35-jähriger Mann wurde als 12-jähriger in der Schule jeden Tag von anderen Jungs gehänselt. Jetzt als Erwachsener fühlt er sich unter seinen männlichen Arbeitskollegen nicht wohl. Er schwitzt ein wenig, wenn er mit seinen Kollegen zu Mittag isst, und vor Betriebsfeiern ist ihm meistens ein paar Tage schlecht. Der gehänselte 12-jährige lebt also in ihm weiter und macht sich in bestimmten Situationen bemerkbar.
2. Eine 31-jährige Frau hat als 5-jährige die Erfahrung gemacht, dass ihre Mutter mehrere Wochen lang schwer krank im Krankenhaus lag. Während dieser Zeit haben sich ihr Vater und eine Tante um sie gekümmert, und sie hat ihre Mutter sehr vermisst und sich die Schuld dafür gegeben, dass ihre Mutter krank war. Als Erwachsene kann sie nun nicht schlafen, wenn ihre Partnerin auf Geschäftsreisen ist. Sie redet sich dann nachts ein, dass sie einen bestimmten Defekt hat und dass ihre Partnerin genau deswegen nicht wiederkommen wird. Die verlassene 5-jährige lebt also in ihr weiter.
3. Eine 28-jährige Person hatte ein peinliches Erlebnis, in dem sie in der Grundschule von ihrem Lieblingslehrer vor der Klasse bloßgestellt wurde. Sie hatte an der Tafel einen Rechtschreibfehler gemacht, und der Lehrer machte sich über sie lustig, während die Klasse sie auslachte. Diese Person ist jetzt verlobt, kann sich aber nicht auf die Hochzeit freuen, da sie einen Horror davor hat, dass sie während der Trauung alle Gäste anschauen. Das beschämte Grundschulkind macht sich weiterhin bei ihr bemerkbar.
Je stärker das traumatische Erlebnis, desto stärker ist auch der emotionale Einfluss, den ein inneres Kind auf das Erwachsenenleben haben kann. Wenn du ungeheilte innere Kinder mit dir trägst, kann ein bisschen Fantasie hilfreich sein. Stelle dir folgende Fragen:
a) Was hätte mein inneres Kind damals gebraucht?
b) Und wer könnte ihm das nun geben?
Dann stelle dir vor, dass du dein betreffendes inneres Kind an einen Ort bringst, wo es sich wohl fühlt und bringe die passenden Figuren mit den geeigneten Hilfsmitteln auch dorthin. Der Ort kann ein Ort aus der Vergangenheit oder aus der Zukunft sein. Die Figuren können Figuren aus der Vergangenheit oder aus der Zukunft sein, echt oder imaginär, Mensch oder Tier oder Superheld.
Der Mann von Beispiel 1 könnte seinen 12-jährigen in den Garten seiner Großmutter der 90er Jahre bringen, in dem er im Gras sitzt und sich von der Großmutter trösten lässt, während der Großvater zusammen mit Wolverine von den X-Men den Jungs von der Schule die Leviten liest auf eine nachhaltige Art, dass sie es verstehen können.
Die Frau von Beispiel 2 könnte sich vorstellen, dass im Krankenhauszimmer der Mutter ein vorübergehendes Kinderzimmer eingerichtet wird, in dem ein Bett und Spielzeug für die 5-jährige stehen, so dass der Vater und die Tante sich um die 5-jährige und ein paar Feen sich um die Mutter kümmern können .
Die Person von Beispiel 3 könnte sich vorstellen, dass ihr inneres Kind erstmal raus aus der Klasse und mit ihrem besten Freund zu einem Freizeitpark gebracht wird, und dass dann ein Team von Sozialarbeitern in ihre Klasse kommt, um dem Lehrer zu erklären, dass so eine Art Disziplin veraltet und unangebracht ist, während ihr damaliger Lieblingssänger, von dem sie weiß, dass viele seiner Klassenkameraden ihn auch bewunderten, an die Klasse appelliert, darüber nachzudenken, wie es für sie wäre, an der Tafel ausgelacht zu werden.
Stelle dir die jeweilige heilende Fantasiesituation so lange vor und nehme daran Veränderungen und Ergänzungen vor, bis du merkst, dass es deinem inneren Kind besser geht. Wiederhole diese oder eine ähnliche Fantasiesituation jeden Tag oder nach Bedarf, bis deine Symptome nachlassen.
Bevor du mit dieser Art Arbeit beginnst, ziehe bitte eine Psychotherapeutin / einen Psychotherapeuten oder eine Psychologin / einen Psychologen zu Rat. Bedenke auch, dass du wissen oder zumindest ahnen musst, mit welchem Kindheitserlebnis deine aktuellen Symptome zusammenhängen. Zu dieser Aufklärung oder Erkundung kann natürlich auch eine Psychotherapeutin / ein Psychotherapeut oder eine Psychologin / ein Psychologe hinzugezogen werden.